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Marx und die Energie des steten Feuers

Die Kultur der Lebendigkeit

Karl Marx und die Energie des steten Feuers (1)

Die Energiewende von der Nutzung fossiler Brennstoffe hin zu Erneuerbaren Energien ist mehr als nur ein technischer Wandel. Vielmehr geht es hier um eine kulturelle Veränderung mit weit reichenden Folgen für Gesellschaft und Wirtschaft. Der Blick auf einige bedeutende Zeitepochen macht deutlich, dass die darin zur Verfügung stehende Energiemenge das Wesen einer Kultur bestimmte. Nicht nur, dass die Energiemenge den Umfang der Produktion an Nahrungsmitteln, Konsumgüter und Mobilität schon immer ausmachte, sondern sie prägte auch die Lebens- und Arbeitsweisen der Menschen. Durch die angeblich unbegrenzt vorhandene Menge an fossilen Energien und Ressourcen in der Industrialisierung schuf so das Erdöl, die Kohle und das Erdgas eine ruhelose Konsumkultur. Gleichzeitig setzte sich das Arbeitsmodell der hierarchisch organisierten Lohnarbeit durch, das für einen steten Strom an Arbeitern und Konsumenten sorgte.

Ein Mann braucht heute in etwa 1.900 kcal Energie pro Tag um zu (über)Leben, Frauen 1.300. Eine Pizza hat z.B. 800 kcal, eine Flasche Pils mit 0,33 cl 118 kcal. Diese Lebensenergie sollte jede Gesellschaft für ihre Bürger*Innen in Form von Lebensmittel mindestens sicherstellen. Dazu kommt noch die Energie zur Produktion von Kleidung und der Bau und Unterhalt einer Unterkunft inkl. Wärmeenergie für Heizung und Wasser. Die Höhe dieser zur Verfügung stehenden Lebensenergie definiert den Lebensstandard der Menschen. Die Art & Weise wie wir diese Energie produzieren schafft darüber hinaus soziale Strukturen, die zusammen genommen eine Kulturepoche begründen. Für die Definition von Kultur soll für den Moment genügen, dass „sie nicht nur unser gesamtes Wissen in einem Betrachtungszeitraum umfasst, sondern auch alle Gewohnheiten und Werte sowie Gegenstände und Werkzeuge, die wir Menschen in Kooperation mit anderen einer Zeit erzeugen.“ (Suddendorf, 2020)

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Früher wurde die Lebensenergie aus der eigenen (Muskel-)Kraft sichergestellt. Die Gesellschaft der Wildbeuter um 10.000 v.Chr. z.B. erbeuteten  durchschnittlich 5.000 Kilokalorien (KCAL) Energie pro Kopf und Tag z.B. durch die Jagd bzw. den Verzehr von Tieren. Hier wurden einfachste Jagdwerkzeuge mit der eigenen Muskelkraft eingesetzt. Sinnbildlich für das soziale Leben der Wildbeuter waren ihre herrschaftsfreien, flachen Hierarchien. Ihr „Glaube war davon geprägt, dass alle Naturerscheinungen als beseelt bzw. von Geistern bewohnt waren.“ Landwirte in der Agrargesellschaft  noch im frühen 18.Jhd. produzierten 10.000 Kilokalorien (KCAL) Energie pro Kopf und Tag durch Viehzucht und den Anbau von Obst und Gemüse. Dazu nutzten sie Landmaschinen und Nutztiere, die sie vor den Karren spannen konnten. Zudem bauten Sie immer wehrhaftere Gehöfte, für dessen Baustoffe sie

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ebenfalls Energie benötigten. Für sie war der Schutz Ihres Besitzes wichtig, da sie diesen nicht mehr wie bei den Wildbeutern davontragen konnten. Bürgerrechte (inklusive Bestrafungsmechanismen) in diesen Gesellschaften spielten deshalb eine immer größere Rolle. Dann begann das Zeitalter der fossilen Brennstoffe, die die industrielle Revolution(en) maßgeblich bestimmten. Mit den Brennstoffen kamen Maschinen, die die natürliche Begrenztheit der Muskelkraft von Mensch und Tier von oben sprengten. Die Produktivität wurde dadurch so extrem angeheizt, dass bedingt durch die Kohlewirtschaft mit der Dampfmaschine in der 1.Industriellen Revolution (Water/Steam Schaubild unten) gegen 1780 bereits 38.000 Kilokalorien (KCAL) pro Kopf und Tag für den Lebensstandard der Bürger erzeugt wurde. 

Phasen der industriellen Revolution

Die Elektrifizierung in der 2.industrielle Revolution Anfang des 20. Jhd. (Electrification Schaubild oben) setzte diesen Trend fort, indem sie die Anwendungsmöglichkeiten für noch mehr Energieproduktion bzw. -nachfrage (z.B. durch den Einsatz von Licht, Rundfunk, Haushaltsgeräte, etc.) noch einmal deutlich erweiterte.

1970 hatte sich mit der Automation der 3. industriellen Revolution (Automation Schaubild oben) die Energieproduktion auf 230.000 Kilokalorie (KCAL) pro Kopf und Tag erhöht. Hier ging es natürlich schon lange nicht mehr nur um (Grund-)Nahrungsmittel und Felle zur Bekleidung von Wildbeutern, sondern um die Erzeugung von Wohlstandsprodukten und zunehmend auch um menschliche Mobilität vor allem im Flugverkehr. Die industrielle Produktion funktionierte nur durch strenge Hierarchisierung der Arbeit, um komplexe Arbeitsprozesse planungssicher zu gewährleisten. Geld und Macht wurde zum wichtigsten Medium der sozialen Gesellschafts- und Arbeitsorganisation.

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Legt man die außerordentlich wichtige Rolle der fossilen Brennstoffe in der 1. bis 3. Phase der industriellen Revolution zugrunde, hatte Marx in seinen Thesen zur Wirtschafts- und Gesellschaftskritik offenbar vergessen, diesen eine zentrale Bedeutung beizumessen. Natürlich standen Industrieanlagen sinnbildlich für die Konzentration von Macht und Kapital der Industriebarone, die auch zur Kontrolle und Ausbeutung der Arbeiterklasse führten. Aber ebenso ist klar, dass ohne den zeitgleichen Besitz und Einsatz von fossilen Energieträgern die Massenproduktion so nicht möglich gewesen wäre. Fossile Brennstoffe standen (gekoppelt mit ihren Kraftmaschinen und Fahr- und Flugzeugen) für die Explosion an mechanischer und kinetischer Energie = Arbeit, die zu einem exorbitanten Anstieg der zur Verfügung stehenden, menschlichen Lebensenergie = Lebensstandard geführt hatten! Die Gigantomanie der Industriebarone, die Ruhelosigkeit von Fließbändern und deren rastlosen Industriemalochern prägten das Industriezeitalter wie kein anderer Faktor.

Es liegt nahe, dass sich durch den industriellen, exzessiven Abbau und Einsatz fossiler Treibstoffe die Ausbeutung des Menschen in der Maßenfertigung auch auf die Erde und ihre Bodenschätze ausweitete. Ressourcen und fossile Energie (-träger) wurden aus dem Boden gerissen und erzeugten so ein stetes Feuer für Konsum- und ständige Bewegung. Die lebensbedrohlichen Folgen dieser Ausbeutung sind heute hinlänglich bekannt. Die Lohnarbeit diente dazu, die Menschen bei der Stange zu halten. Denn sie sollten ja den Lohn dazu nutzten, die Industriebarone immer reicher und mächtiger zu machen. Die Arbeits- und Lebenszeit der Menschen galt also ausschließlich dem Konsum. Da selbst die Kommunikation (durch Marketing) den Kommerz propagierte und die Musik, Malerei und andere menschliche Ausdrucksformen durch Geld evaluiert und konsumiert wurden, kann man zurecht von einer Konsumkultur bis in die heutige Zeit sprechen.

Die Erde-Unser Blauer Planet

Es ist wichtig auf den Zusammenhang von Energie, Konsum / Mobilität, Arbeits- / Lebensbedingungen im Laufe der Zeit  hinzuweisen, weil wir ansonsten zu dem falschen Schluss kämen, dass wir heute die fossile Energie einfach mit Erneuerbaren Energien austauschen und alles wie gehabt weiter läuft.

Damit würden wir unterschlagen, dass bei den Erneuerbaren Energien das Ausbeutungsparadigma der fossilen Brennstoffe zugunsten der „Natürlichkeit von Ressourcen und Energie“ verloren geht. Das verleiht der Natur einen ganz anderen Stellenwert als vorher. Die Knappheit und Volatilität von Energie und Ressourcen wird uns bewusst. Zudem gerät die niemals enden wollende Fließbandproduktion des mechanistischen Weltbild der Industrie ins Wanken, da die Natur eben nicht (und der Mensch schon gar nicht) zu jeder Zeit Unmengen an (Antriebs-) Energie liefert, sobald die Industriebarone den Schalter umlegen. Aus dieser Gemengenlage wird sich ein anderes soziales Arbeits- und Lebensmodell ergeben.

Es ist nicht vorstellbar, dass in der Epoche der „nachhaltigen, grünen Energien“ ein Nahrungsmittel-, Konsumgüter- und Mobilitätdpotential im Bereich von 230.000 Kilokalorie (KCAL) pro Kopf wie in der Industriealiserung aufrechterhalten wird. Denn auch die äußeren Bedingungen haben sich durch die Industrialisierung fundamental verändert. Durch den Glauben an den nimmer enden wollenden Wachstum ist auch die Weltbevölkerung explodiert. Während im Jahr 1900 noch 1,6 Mrd. Menschen auf der Welt lebten, waren es im Jahre 2000 bereits 6 Mrd. Dadurch werden wir nun gezwungen, zunehmend Energie und Ressourcen zu teilen.

Meine Einschätzung ist, dass viele Menschen die Konsumkultur auch gar nicht mehr wollen. Denn anstatt die Allmacht der Industriebarone durch den Kauf und die Produktion von noch mehr wenig nachhaltigen und überflüssigen Produkten zu unterstützen, die der Industrie zu noch mehr Macht & Geld verhilft, wollen wir selbständig arbeiten und sinnvolle Dinge tun und kaufen, die wir auch wirklich brauchen. Das liegt vor allem daran, dass wir durch die Digitalisierung nie dagewesene Autarkiegrade (z.B. durch Homeoffice) im persönlichen Leben erreicht haben (Andersen, 2007 unten). Auch in sozialen Bereichen der Lebensgestaltung entstehen z.B. durch Erneuerbare Energien Insel- bzw. Autarkielösungen (wie z.B. bei Eigen- bzw. Mieterstrommodellen), die die Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen in vormals Industriegesellschaften immer mehr von der Inustrie abkoppeln.

Mit diesen Worten möchte ich in den kommenden Blog-Beitrag vom 27.12.2020 zur Post-Industrialisierung einleiten. Hier soll genauer beschrieben werden, was sich im Bereich des (Arbeits-)Lebens und der Produktion verändert und wie daraus eine Organisation der Lebendigkeit entsteht. Hier gehe ich darauf ein, warum die 4. Revolution (Digitization oben) keine Revolution mehr ist, die auf wirtschaftlicher Effizienz getrimmten ist, sondern eine, in der durch digitale Kommunikation der Mensch (als Ware) im Zentrum von Daten-, Information- und Wissensarbeit steht.

Ihr

Benjamin Holtz

Quellen:

C. Anderson (2007): "The Long Tail – der lange Schwanz. Nischenprodukte statt Massenmarkt – Das Geschäft der Zukunft."

I. Morris (2020): Beute, Ernte, Öl: "Wie Energiequellen Gesellschaften formen."

T. Suddendorf (2020): „Der Unterschied. Was den Menschen zum Menschen macht.“

 

 

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Kommentare

Kommentar von N. Baudis |

Lesenswerter Artikel, der die Verzahnung von technisch-kulturellem Wandel, gesellschaftlichem Arbeits- und Konsumverhalten sowie der Energienutzung gut hervorhebt. Freue mich auf weitere Betrachtungen ähnlicher Themen!

Kommentar von Dr. Holtz Sylke |

Dieser Blog scheint mir besonders interessant, da er darlegt, wie eine Kultur bzw. die verschiedenen zu einer Kultur gehörigen Lebensbereiche durch die Ressourcen/Energien geprägt wird.
Es wird hier auch dargelegt, wie g e i s t -bestimmend diese Faktoren sind.
Zu den derzeitigen Einkommensverhältnissen ist noch -grob gesagt -hinzuzufügen, dass ein Arbeiter durchschnittl. heute 2 Mio. Jahre Jahre arbeiten müsste, um das Einkommen von Bezos/Amazon zu erreichen.
Was noch schlimmer ist, ist, dass nicht nur der Mensch selbst zur Ware geworden ist (bereits laut B.Brecht), sondern heute der Geist selbst zur Ware wird.
Insofern bin ich gespannt auf den weiteren Blog, wo ieser Weg unter die Lupe genommen wird.
Ich hoffe, es geht auf einem guten Weg weiter. Wir müssten erst die Natur wieder als belebtes,"geistiges" Wesen erkennen, das unseren Respekt einfordert. Dann, auf diesem Weg in die "Lebendigkeit" der Kultur, unser eigenes Sein hinterfragen.

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